Das Ende einer Illusion – Kriminalität in Kambodscha
2012 © Ludger Wimberg
Ich sitze in einem Tucktuck in Phnom Penh und fahre zurück ins Hotel. Plötzlich überholt ein Motorrad. Zwei junge Männer schauen rüber, sehen meinen kleinen Rucksack und greifen bei voller Geschwindigkeit zu. Ich habe ihn mit einem Bauchgurt gesichert, fasse die Hand des Diebes und drücke sie zurück. Das Motorrad verschwindet im Dunkeln, mein Herz rast.
Meine kleine Wohnung in Sihanoukville
liegt im ersten Stock. Ich habe die letzte an einem
langen Balkon, der als Zugang dient. Bei mir kommt niemand
vorbei. Eine kleine Stange mit Kleiderbügeln steht vor
meinem Schlafzimmerfenster. In Kambodscha herrscht tropisches
Klima, Luftfeuchte ist immer. Daher müssen die Kleider
ab und zu in der frischen Luft hängen. Ich mache es
oft über Nacht, da stört es am wenigsten. Doch diese
Nacht ist anders. Als ich morgens aus dem Fenster schaue,
ist der Kleiderständer fast leer. Kleidung für mindestens
500€ ist verschwunden. Hängengeblieben sind alte T-Shirts
und zwei alte Jeans. Ich bin 190 cm groß. Wem passen
meine Sachen hier im Land der kurzen Menschen? Bei meinen
Nachbarn sind die Schuhe verschwunden, in der Nachbarschaft
sehr viel Wäsche. Eine Bande war am Werk.
Mit Schloß und Stahlseil
Die angenehme Illusion der Sicherheit verschwindet.
Und gestern wurde mein Motorrad gestohlen. Beim Ocheutal-Beach
ist die Travellerhauptstraße. Hier liegt das Led Zephir,
meine Lieblings-Livebandbar. Hell erleuchtet. Die Tische
stehen direkt bei den Bikes. Ich fahre auf ein Pärchen
zu. Mein Bike steht keine zwei Meter von ihnen entfernt.
Keines der anderen Bikes ist angekettet. Gelegentlich
läuft ein Securitymensch herum. Also lasse ich das schwere
Schloss unterm Sitz und gehe hinein. Drinnen spielt
die Band gute und bekannte Stücke. Nach zwei Stunden
gehe ich und suche mein Bike. Es ist weg! Das Pärchen,
das immer noch an der gleichen Stelle sitzt, hat nichts
bemerkt. Ich informiere den Manager des Clubs. Es spricht
sich schnell herum, was draußen passiert ist. Fast alle
Bediensteten kommen zum Schauen, eine kambodschanische
Sitte. Alles, jeder Streit, jeder Unfall, ja jedes Ereignis
hat innerhalb von Sekunden zahlreiche Beobachter.
Jetzt höre ich mehrere Geschichten über Motorrad-Diebstähle. Der Manager wird eine Videokamera zur Überwachung installieren. Der Diebstahl eines nicht angeketteten Bikes ist relativ einfach. Die Schlüssel passen fast in jede Honda, alte Bikes gehen auch ohne an. Daher hat das Pärchen nichts mitbekommen. Es war ein ganz normales Abholen und Wegfahren. Niemand hat etwas gemerkt.
Ich melde den Diebstahl noch nachts meinem Vermieter. Der sagt, ich solle morgen das Geld vorbeibringen, dann kann er ein Bike kaufen, das könnte ich haben. Am nächsten Tag gehe ich zu ihm und bin nicht alleine. In der vergangenen Nacht wurden drei seiner Motorbikes gestohlen, eines für 1600$, eine Honda 3 mit 125ccm.
David ist außer sich. Immer hat er
sein Bike verriegelt und verrammelt, es vor sein Zimmer
gestellt und das große Eisentor vorm Mehrfamilienhaus
geschlossen. Er zeigt mir 500$ in sauberen gebügelten
100'er-Scheinen. Er ist zur Polizei gegangen und hat
dem Offizier diese Scheine vor die Nase gehalten. “Wenn
du mir mein Bike bringst,” hat er gesagt, “dann gehören
die Scheine dir.” Bei einem Gehalt von 70$ ein lukratives
Angebot. Nur hätte David nicht sagen dürfen, “Falls
nicht, dann kriegst du gar nichts.” Der Offizier bestand
auf 100$ Bearbeitungsgebühr. David ist gegangen. Er
will den Dieb selbst fangen, ihm auflauern und Fallen
stellen, vielleicht GPS-Sender einbauen. Ich sage ihm,
lass mal, das geht hier nur mit der Polizei.
Rumfummeln an Motorbikes
Ein deutsches Ehepaar ist da. Auch ihr Bike ist weg.
Sie waren einkaufen in einem Shop, ein Wachmann stand
davor. Es sah alles sicher aus. Als sie rausgingen,
war der Wachmann weg und ihr nagelneues Motorbike ebenfalls.
“1200$”, sagt sie. “Ja , ich weiß”, sage ich. Mein Motorrad-Vermieter
bittet mich hinein. Ich zahle und frage nach dem neuen
Bike. “Ja, ganz neu ist es nicht”, sagt er und fügt
hinzu: “Demnächst kann ich welche von der Polizei kaufen,
fast neue.”
Heute Nacht wurde ein Ausländer vom
Motorrad geholt. Zwei Motobikes haben ihn gestoppt,
er wurde verprügelt. Dann war er sein Motorrad los.
Seit ein paar Tagen fahre ich keine dunklen Straßen
bei Nacht. Ich parke nur noch auf bewachten und bezahlten
Plätzen und kette mein Vorder- und mein Hinterrad an.